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JUNGSTÖTTER
Fabian Altstötter ist kein unbeschriebenes Blatt. Schon in frühester Jugend gründete der aus Landau stammende Künstler mit seinen Freunden Philipp Hülsenbeck und Marc Übel die Band Sizarr, die zwei erfolgreiche und von der Kritik hoch gelobte Alben veröffentlichte. Der Sound von Sizarr war jugendlich, wenn sich auch hier schon eine enthusiastische Kenntnis der Popgeschichte wie auch jene Ästhetik der Melancholie zeigte, die vielleicht über das junge Alter der Musiker hinwegtäuschte. Nun sind einige Jahre ins Land gegangen, nach Stationen in Mannheim und Leipzig lebt Altstötter in Berlin. Die Kleider haben an Farbe verloren, die Mäntel sind länger geworden, die Haut ist gestochen von morbiden Fantasien. Ein Wandel vollzieht sich, aus Altstötter wird Jungstötter. Die Melancholie ist noch da, und aus dem Kokon des jungen Sängers ist ein weit gereifter Erzähler entpuppt. Nun stellt Jungstötter sein erstes Album vor. LOVE IS erscheint im Frühjahr 2019 bei Pias. Es ist eine Achterbahnfahrt geworden, der Wagen, mit Samt ausgekleidet, nähert sich Abgrund um Abgrund. Anders als bei Sizarr vertrauen die zehn Stücke auf LOVE IS auf ein paar wenige Instrumente, ihre Verspieltheit emanzipiert sich ohne viel Pomp. In der Arbeit an den Songs wurden sie musikalisch immer reduzierter, bildeten eine Skulptur heraus, die nun nicht arm an Verzierung auftritt, ihren Körper, ihre Mimik, ihren Ausdruck jedoch ohne große Effekte findet. Dabei, und das markiert eine ganz besondere Note, ist sie von einem seltsam introvertierten Pathos behaftet, der ohne Gebrüll auskommt, nicht plakativ verfährt – sondern bedacht und fast zärtlich nach seinen Hörern greift.
Die Referenzen liegen in einer romantischen Sphäre. Zwischen der Schwere der Bad Seeds, dem Schmerz Tuxedomoons, den alptraumhaften Songlandschaften Scott Walkers, der Intensität Neil Youngs und der Zartheit Marc Hollis’ jedoch findet Jungstötter zu einer Musik, die sich neben dem Erbe genannter Musiker ein eigenes Haus baut. Die kargen Zimmer dort sind erhellt vom Schein flackernder Kerzen. Mit seiner jungen Band hat Jungstötter dieses Haus nun bezogen, richtet es nach und nach ein. Die Stücke sind dabei jedoch nicht auf die Gruppe angewiesen, Jungstötter spielt sie je nach Anlass alleine am Klavier oder mit Band. Wir folgen, so oder so: In die Tiefe.
ALBERTINE SARGES
Nach zahlreichen künstlerischen Zusammenarbeiten mit der italienischen Synthwave-Band Itaca, Holly Herndon und Kat Frankie, hat Albertine Sarges eine neue Band zusammengestellt: Die Sticky Fingers. Das selbstbetitelte Album The Sticky Fingers wurde am 29. Januar bei Moshi Moshi Records in London veröffentlicht und prompt zum BBC6 Music Album Of The Day gewählt. Albertine wuchs im Post-Wende-Kreuzberg auf und spielte ihr Album in Neukölln ein - und von hier aus erstrecken sich ihre Themen über feministische Theorie, Bisexualität und Gender-Stereotypen bis hin zu Mentaler Gesundheit. Diese Themen erkundet sie mit einem spielerischen und chamäleonartigen Antlitz: Von Viv-Albertine inspiriertem Post-Punk und kaleidoskopischem Dream-Pop zu rauen Gitarren und an Tune-Yards erinnernder Vokalakrobatik.
"Es gibt definitiv eine Bipolarität, sogar in den Liedern selbst", sagt sie. "Meine Musik kann unberechenbar sein, aber das ist einfach meine Natur! Sie hat ein Gefühl der Freiheit, das mein Publikum zu erreichen scheint. Es ist ein Ort ohne Angst. Ein Safe Space, dessen Gastgeberin zu sein ich unglaublich stolz bin."
Dieser Safe Space ist das Resultat einer Reise, die fast 15 Jahre gedauert hat. In ihren Zwanzigern fing Albertine an, akustische Folkmusik zu schreiben. Ihr Leben änderte sich jedoch, als ihr Vater nach langer Krankheit verstarb und sie mit Depressionen zu kämpfen hatte, die - in Verbindung mit mehreren Infektionen der Stimmbänder - ihr Selbstvertrauen beim Musik machen zerstörten. Erst mit ihrem Alter Ego in Gestalt der gut gelaunten italienischen Diva Ossi Viola und dem Synthie-Duo Itaca begann sie wieder zu ihrem kreativen Ausdruck zu finden. Nach und nach fand eine Öffnung statt: Sie spielte Keyboard für Kat Frankie, arbeitete mit Colin Self zusammen und schloss sich Holly Herndon als Teil des Vokalensembles der Experimentalmusikerin an. Es folgten regelmäßige Beiträge für Zines aus Berlin und Kollaborationen mit lokalen Musikern, mit einer Hingabe, die für sie jahrelang unerreichbar schien.
Die Sessions fassen Albertine Sarges und ihre Herangehensweise an die Kreativität gut zusammen: Sie ist eine Künstlerin, die sich ihren Sinn für Humor bewahrt hat und darauf achtet, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen. Ihre Musik ist aber auch eine Plattform, um sich selbst zu erforschen und zum breiteren gesellschaftlichen Diskurs beizutragen. Den Auftakt bildet der Slits-artige New Wave-Track Free Today mit einem Zitat der feministischen Schriftstellerin Sara Ahmed über die Relevanz der Theorie. Albertine verwendet dieses Zitat, um die Bedeutung der Popmusik für den gesellschaftlichen Diskurs zu implizieren.
"Ich habe mich entschieden, das Album so zu beginnen, weil ich denke, es ist wichtiger denn je zu lesen", sagt sie. "Wir müssen lesen und tief über die sozialen Medien hinaus eintauchen, die nicht für ein tiefgehendes Studium geeignet sind. Wir müssen um unsere Aufmerksamkeitsspanne kämpfen und uns selbst mit echtem Input versorgen."
The Sticky Fingers ist ein Album, das nicht nebenbei gehört werden will. Ein Werk voller Wendungen, emotionalen Höhen und Tiefen sowie Texten, die nahe an der Realität ihrer Urheberin und trotzdem so universal sind, dass sie auf einer viel breiteren Ebene Verbindungen schaffen können - ein Kennzeichen guter Popmusik.
+ JUNGSTÖTTER
+ ALBERTINE SARGES
Abendkasse: 24 €